homeKontakt
Logo Karl Lueoend
 Logotext Karl Lueoend
profil
kernkompetenzen
konzept
corporate communications
publizistik
beratung
publikationen
vortraege

Linie
ressort titel

Auf dem Marktplatz der Moderne.

Ein junger Mann namens Müller importierte Anfang der 1960er-Jahre die Idee des Einkaufszentrums in die Schweiz. Und er wurde nach 34 erfolgreichen Jahren von jenem Financier kaltgestellt und ausgebootet, der später auch eine Grossbank an den Rand des Kollapses bringen sollte: Martin Ebner.

Der Publizist Karl Lüönd legt mit der Biografie von Jacques E. Müller einen wahren Wirtschaftskrimi auf und lässt die wichtigsten Zeitzeugen und Vertrauten der damaligen Protagonisten zu Wort kommen.



Leseprobe

Martin Ebner übernimmt

Der grosse Aussenseiter des Schweizer Finanzwesens greift nach der Substanzperle Intershop und wird dabei von der Hauptaktionärin Winterthur unterstützt.


Die Wirtschaft ist kein Streichelzoo. Auch eine Gesellschaft, die über lange Zeit hinweg mit hervorragenden Ergebnissen glänzt und fast jedes Jahr weit besser abschliesst als der Branchendurchschnitt, ist vor Überraschungen nicht sicher. Das Kapital ist ein scheues Reh, manchmal auch ein launisches.
In den 34 Jahren von 1962 bis 1996 hatte die Intershop Holding AG unter der operativen Leitung ihres Initianten Jacques E. Müller ein internationales Immobilien-Portefeuille aufgebaut und etwa 80 meist auf nur ein Anlageobjekt bezogene Tochtergesellschaften gegründet. Die Grundidee war, die Risiken von Währung, Regulierung und Konjunktur gut zu verteilen, üppige Dividenden auszuschütten und das Eigenkapital zu vermehren. Die Wirtschaftspresse war des Lobes voll. Auch die Schlagzeilen aus den 1990ern, den Jahren der grossen Immobilienkrise, tönten freudig: «Die Intershop-Gruppe trotzt der Immobilienkrise.» (Basler Zeitung); «Vorsicht, die sich bezahlt macht» (Schweizer Handelszeitung); «Intershop gewinnt weiter» (Tages-Anzeiger); «Dem misslichen Umfeld trotzende Intershop» (Neue Zürcher Zeitung). Und eben: «Intershop, der weisse Rabe im Immobiliengeschäft» (Finanz und Wirtschaft).


Genug ist nicht genug!
Doch immer wieder kritisierten Analysten und Journalisten, die Aktie sei unterbewertet, «ein Mauerblümchen an der Börse» (Tages-Anzeiger). Dank enormen stillen Reserven liege der Substanzwert der Aktie mindestens ein Drittel höher als deren Börsenwert. Doch auch dem vermeintlich problemfreien, fest in der ersten Reihe der Schweizer Versicherungs- und Bankenwelt verankerten Musterknaben gelang nicht alles. Ausgerechnet 1996, im 30. Jubiläumsjahr, als die Intershop Holding AG ihr Aktienkapital um 61 auf 321 Millionen Franken erhöhen wollte, sollte dies unter Ausschluss des Bezugsrechts der bisherigen Aktionäre geschehen. Zwei Drittel der neuen «Vorratsaktien» sollten zur Absicherung der gleichzeitig geplanten Optionsanleihe von 100 Millionen Dollar dienen. Das Stimmrecht dieser Aktien aber würde die dienstfertige Depotbank dennoch ausüben, selbstverständlich im Sinn des Verwaltungsrats. Aktionäre und Presse tobten. In einem gewissen Sinn wollte der Verwaltungsrat das gleiche Szenario durchziehen, das schon 1988, wenn auch unter hörbarem Murren von Publikumsaktionären und Wirtschaftspresse, funktioniert hatte. Jetzt aber brach, um eine damals noch nicht erfundene Metapher zu gebrauchen, ein Shitstorm über den Verwaltungsrat herein. Die Speerspitze des Protests war ausgerechnet die Neue Zürcher Zeitung, das Zentralorgan des schweizerischen Geldgewerbes. Sie titelte: «Entrechtung der Aktionäre».
Zwar setzte Hansjörg Abt, damals der einflussreichste Wirtschaftsjournalist der Schweiz, hinter diese massive Aussage noch ein Fragezeichen. Mit Ausrufzeichen jedoch blieb sein Vorwurf stehen, die Aktien würden verwässert und die Publikumsaktionäre an ihrem Vermögen geschädigt; auch würden deren Stimmrechte geschmälert. «Starker Tobak!», schimpfte das einflussreichste Blatt des Landes. Der Verwaltungsrat der Intershop Holding AG führe sich auf «wie in einem Selbstbedienungsladen».
Die Strafpredigt der NZZ schloss mit einer bösen Spitze gegen Peter Forstmoser, Ordinarius für schweizerisches Zivil- und Handelsrecht an der Universität Zürich, einen der führenden Aktienrechtler des Landes und seit einiger Zeit Mitglied des Intershop-Verwaltungsrats: «Übers Ganze betrachtet, kann man sich deshalb als unbeteiligter, aussenstehender Betrachter des Eindrucks nicht erwehren, die verantwortliche Führung der Intershop schicke sich wenige Monate vor Inkrafttreten des neuen Aktienrechts an, ohne erkennbare Notwendigkeit in grossem Stil Praktiken zu frönen, die längst als aktionärsfeindlich erkannt sind und deshalb vom revidierten Recht nicht mehr toleriert werden.»
Hansjörg Abt schrieb «Aktienrecht», meinte aber wohl das Börsenrecht, das zu dieser Zeit revidiert wurde und Neuheiten wie die Offenlegungs- und die Angebotspflicht brachte. Die letzte grosse Aktienrechtsreform hatte 1991 stattgefunden; die fünfjährige Übergangsfrist lief 1997 aus.
Schon nach zehn Tagen zog der Verwaltungsrat seinen Antrag auf diese Vorgehensweise bei der Erhöhung des Aktienkapitals zurück und gestand ein, dass dieser dem Image des Unternehmens geschadet habe. Längerfristig orientierte Beobachter mussten aber auch eingestehen, dass Intershop entgegen der Praxis anderer schweizerischer Publikumsgesellschaften bewusst die Abwehr gegen feindliche Übernahmen (Vinkulierung, Stimmrechtsbegrenzung) geschleift oder gar nicht erst eingeführt hatte, was dann später auch die Übernahme erleichterte.


In der Krise gegen den Wind gesegelt
Die Lage auf dem Schweizer Immobilienmarkt war zu Beginn der 1990er-Jahre ziemlich trostlos. Die Hypothekarzinsen erreichten einen historischen Höchststand. Die Schweizerische Nationalbank errechnete am Ende des Jahres einen Durchschnittswert für alle Hypothekengattungen von 7,18 Prozent. Neue Hypotheken kosteten bis zu 7,5 Prozent. Vielen Schuldnern ging die Luft aus; ihre verpfändeten Häuser und Grundstücke fielen an die Banken, die sich der Liegenschaftenflut kaum zu erwehren wussten und weder ein Konzept noch die Fachleute besassen für eine sinnvolle Verwertung dieser angeschwemmten Aktiven. Ausserdem hatten sie das Problem, dass sie 30 Prozent vom Wert der an sie übergegangenen Liegenschaften mit Eigenmitteln unterlegen mussten.
Bei Intershop waren die Jahresgewinne gerade in den für das Immobilienwesen besonders kritischen Geschäftsjahren 1991/92 und 1992/93 über den Branchendurchschnitt gestiegen. Bereitwillig verriet Jacques E. Müller der Zeitung Finanz und Wirtschaft sein ergreifend schlichtes Geheimrezept: «Nur dort investieren, wo ein echter Bedarf besteht und nur dann investieren, wenn mit einem guten Haupt- oder Alleinmieter ein langfristiger Mietvertrag abgeschlossen werden kann. Schliesslich werden Investitionen unterlassen, wenn die Renditen als ungenügend erachtet werden. Als Nettosätze, mit denen die Erträge kapitalisiert werden, gelten bei der Intershop unter heutigen Marktverhältnissen und als konservativ bezeichnet 6,5 Prozent für die Schweiz und 9 Prozent für die USA.»


Offen für Neues, aber vorsichtig
Neues wurde zwar immer wieder ausprobiert, aber schnell wieder fallen gelassen, wenn die ehrgeizigen Renditenziele nicht erreicht wurden. So plante Intershop in diesen Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer zusammen mit der Grossbäckerei von Fredy Hiestand den Aufbau einer Kette von Stehbars in Ostdeutschland, sogenannten Croissanterien. In Dresden wurde ein Testladen eröffnet. Aber Intershop konnte zu wenige attraktive und bezahlbare Lagen finden. Das Projekt wurde begraben, ebenso der Plan für ein grosses Einkaufszentrum im Osten von Berlin, der auf den Widerstand der örtlichen Behörden stiess.
Die Börse honorierte die jahrelange, beständige Ausnahmeleistung von Intershop immer noch nicht wirklich. Der Kurs der Aktie blieb gedrückt wie bei allen anderen Immobilienwerten. Zwischen dem Börsenwert und dem – nach der Art des Hauses konservativ errechneten – Substanzwert klaffte unverändert eine Lücke von mindestens 30 Prozent.


Es lockten die stillen Reserven
Wo sich solche Chancen boten, war einer nicht weit, der seit 1985 eine eigene Bank (BZ-Bank) und vier Beteiligungsgesellschaften gegründet und innert fünfzehn Jahren als Aussenseiter die durch viele Kartelle gebundene Schweizer Bankenszene aufgemischt hatte und damit Milliardär geworden war: Martin Ebner, geboren 1945. Mit seinem stark amerikanisch geprägten Hintergrund hatte er zur Freude von institutionellen Grossinvestoren wie Rolex oder Roche enorme Anlageerfolge erzielt. Mit seiner BZ-Gruppe konzentrierte er sich auf den Handel mit hochwertigen Schweizer Aktien vor allem von Banken, Maschinenfabriken und Pharma-Unternehmen. Ebner trat immer wieder mit kreativen Ideen hervor; mit diesen wirkte er allerdings in der bis zum Kragenrand kartellisierten und in Konventionen erstarrten Bankenbranche wie der Hund in der Kirche.
Aber er hatte Erfolg. Es hatte damit angefangen, dass er von den Vorteilen der Zeitverschiebung zwischen den Kontinenten Gebrauch machte und die Handelstätigkeit in Zürich weit in die Nacht hinein fortsetzte, solange die amerikanische Börse geöffnet war.
Eine von Ebners Spezialitäten waren die Stillhalter-Optionen, ein Finanzierungsinstrument, das passiven Aktionären ein bequemes zusätzliches Einkommen aus Prämien verschaffte und zugleich das Risiko des Angreifers minderte. Vor allem bei Pensionskassen fand Ebner damit schnell eine treue Stammkundschaft.
Teilweise mit geliehener Stimmkraft baute Martin Ebner im Laufe der Zeit bedeutende Beteiligungen an Asea Brown Boveri, Credit Suisse, Alusuisse und Lonza auf. Dabei scheute er sich nicht, Einfluss auf das Management der Firmen zu nehmen, an denen er sich beteiligte und dem «shareholder value» zuliebe radikale Reformen zu verlangen, so die Änderung der Firmenstrategien, die Verkleinerung der Verwaltungsräte und die betont leistungsbezogene Entlöhnung des Managements. Ende 1995 kaufte Ebner über die Börse nach und nach 10 Prozent der Aktien der Intershop Holding AG. Sofort mutmassten Beobachter der Zürcher Finanzszene, Ebner wolle seinen vier bestehenden Beteiligungsgesellschaften, die er «Visionen» nannte, eine fünfte beigesellen: die Immobilien-Vision.


Karl Lüönd:
Auf dem Marktplatz der Moderne.
Die Einkaufszentren und das Lebenswerk von Jacques E. Müller, Gründer der Intershop Holding AG
NZZ Libro, Basel, 2021. 136 S., 15 x 22 cm, gebunden.
Fr. 34.– (UVP) / € (D) 34.– / ISBN 978-3-907291-37-5


« zurück